Fußball
News melden
Nachrichten

RNZ-Podcast "Ein Kreuz, zwei Stimmen": "In der Grundschule das erste Mal anders gefühlt"

0 26

		RNZ-Podcast

Von Sören S. Sgries

Stuttgart/Osterburken. Wenn Simone Fischer über einschneidende Erfahrungen spricht, kommt die 42-Jährige schnell in ihre früheste Kindheit im Odenwald. Mitte der 80er, die Einschulung steht bevor. Im Kindergarten gibt es kaum ein anderes Thema. Nur: Wenn es nach dem Willen des Schulamts geht, soll Simone ihre Kindergartenfreunde bald nicht mehr so oft sehen: Nicht die Grundschule am Ort, in Osterburken, soll sie besuchen – sondern das rund 100 Kilometer entfernte Internat für körperbehinderte Kinder und Jugendliche.

"In der Tat ist es die Grundschule, wo ich mich das erste Mal bewusst daran erinnern kann, mich anders gefühlt zu haben", erinnert sich Fischer heute. "Anders", weil sie ein kleinwüchsiges Mädchen war, eine kleinwüchsige Frau ist.

"Für mich war immer – und ist es auch heute noch – das Schlimmste, ausgelacht oder lange angestarrt, teilweise auch verspottet zu werden", erzählt sie im RNZ-Podcast. Aber zum Glück habe sie immer eine Familie, habe sie Freunde um sich gehabt, die sie unterstützten. "Wenn jemand eine blöde Bemerkung gemacht hat, stand mir sofort jemand zur Seite – und auch ich war nicht auf den Mund gefallen", erzählt sie lächelnd.

Aufs Internat musste sie übrigens nicht. Ihre Eltern und der Schuldirektor vor Ort setzen durch, dass sie doch auf die normale Grundschule darf – wenn auch ein Jahr später als ihre Kindergartenfreunde. Später habe sie festgestellt, "wie viel Glück und Unterstützung ich erfahren habe in meinem Aufwachsen". Aber: "Nicht jeder hat dieses Glück – und es darf auch kein Glück sein".

Das ist ein Leitspruch, der Fischer jetzt auch in ihrer neuen Arbeit begleitet: Seit Anfang Oktober ist sie die neue baden-württembergische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung. Ihre Vorgängerin Stephanie Aeffner sitzt für die Grünen neuerdings im Bundestag. Fischer ist in keiner politischen Partei. Als "bestens prädestinierte Fachfrau" mit "hervorragender Expertise", als "ausgezeichnet vernetzt" lobte Sozialminister Manne Lucha (Grüne) sie.

Der Weg in das herausgehobene Amt sieht im Rückblick wie vorgezeichnet aus – war es aber eigentlich nie, sagt Fischer.

Aufgewachsen ist sie "sehr behütet" im 300-Einwohner-Örtchen Bofsheim, zwischen Buchen und Osterburken. Dort macht sie ihr Abitur, arbeitet als Schülerin auch für die Rhein-Neckar-Zeitung als freie Mitarbeiterin.

Als 20-Jährige beginnt sie ein Studium der Verwaltungswissenschaften in Kehl. Schwerpunkt: Ordnungsverwaltung. Eher als Generalistin habe sie sich verstanden, erinnert sie sich. Eine Stellenausschreibung des Landeswohlfahrtverbands ist schließlich der Grund, dass sie künftig vor allem für Menschen mit Behinderung arbeitet: "Ich habe gedacht: Das klingt interessant. Von da an war ich mit diesen Themen vertraut."

Erst arbeitet die Diplom-Verwaltungswirtin in der Eingliederungshilfe für den Wohlfahrtsverband, dann geht es in die Landeshauptstadt Stuttgart in verschiedenen Aufgaben. 2016 wird sie in Mosbach, beim Landratsamt, für einige Monate Behindertenbeauftragte, ehe es sie zum Städtetag und letztlich zurück in die Landeshauptstadt zieht. Ihr letzter Job auch dort: Behindertenbeauftragte. Drei Jahre lang – bis sich jetzt das Land meldete.

"Ich bringe sicherlich meine Erfahrungen als kleinwüchsige Frau mit", beschreibt sie, was sie zusätzlich zur formalen Qualifikation auszeichnet. "Dadurch habe ich einen ganz eigenen Zugang zu Menschen in ähnlichen Lebenssituationen. Das bedeutet aber nicht, dass ich per se allen Menschen mit Behinderung aus dem Herzen sprechen kann."

Doch sie kennt aus der eigenen Erfahrung das Gefühl, sich anders zu fühlen. Sie weiß, wie schwierig es sein kann, um Hilfsmittel zu kämpfen. Und gleichzeitig hat sie beruflich auch andere Lebenswelten gesehen – die Probleme in Wohngruppen, die Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Ein Thema, das ihr besonders am Herzen liegt: Die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung. Fischer erlebte immer die Situationen als besonders schwierig, in denen sie auf Menschen traf, die es nicht gewohnt waren, dass Menschen auch "anders" sein konnten. Dabei muss das ja nicht sein, findet sie – wenn man denn zusammen aufwachsen würde, so wie sie früher mit ihren Freunden. "Jedes Kind hat ein Recht auf Inklusion – auch überall", fordert sie daher, dass die Öffnung der Regelschulen für Kinder mit Behinderung weiter vorangetrieben wird.

Wobei sie die früheren Förderschulen, die SBBZ, nicht kleinreden möchte: Da seien "sehr gute, sehr kompetente" Lehrer. Aber: Eltern und Kinder bräuchten "ein echtes Wahlrecht" – und sollten nicht durch fehlende Unterstützung gezwungen sein, sich doch gegen die Regelschule zu entscheiden.

Der normale Schulbesuch: "Für uns war es früher mit Körperbehinderung kaum möglich", sagt Fischer. Jetzt sei es kaum ein Problem mehr. Warum solle das künftig also nicht auch bei Trisomie21 gehen? "Das ist auch für Kinder ohne Behinderung ein Gewinn", ist sie überzeugt vom Miteinander. Der grün-schwarze Koalitionsvertrag biete Spielraum, hier ein bisschen nachzulegen.

Inklusiver soll auch der Arbeitsmarkt sein. Werkstätten für Menschen mit Behinderung seien an sich eine gute Sache, findet Fischer. Es gebe "ganz viele, die sagen: Wir möchten hier arbeiten." Aber einige wollten eben auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch hier gelte: "Der Knackpunkt ist, dass es echte Wahlmöglichkeiten braucht." Wenn das beispielsweise in Stuttgart von über 900 Beschäftigten in einer Werkstatt nur eine Person schaffe, sei das definitiv zu wenig.

Grundsätzlich blickt sie aber zuversichtlich auf die gesellschaftliche Entwicklung – gerade, was die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung angeht. So habe sich zum Beispiel im TV viel getan. Der Arzt im Rollstuhl in der Vorabendserie "In aller Freundschaft", die kleinwüchsige Moderatorin Ninia LaGrande oder "Tatort"-Schauspielerin Christine Urspruch: "Das trägt sehr viel dazu bei, dass Menschen mit Behinderung sichtbar werden." Und künftig gehört ja auch sie selbst zu den sichtbaren Vorbildern.

Загрузка...

Comments

Комментарии для сайта Cackle
Загрузка...

More news:

TSG 1899 Hoffenheim (de)
Пользователи сайта

Read on Sportsweek.org:

Andere Sportarten

Sponsored