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Neue europäische Grundrechte: "Wir können es klüger machen als unsere Vorfahren"

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		Neue europäische Grundrechte:

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Jeder EU-Bürger soll ein Anrecht auf eine gesunde Umwelt, auf faire Produkte und digitale Selbstbestimmung haben. Das fordert der Schriftsteller und Jurist Ferdinand von Schirach in seinem Buch "Jeder Mensch". Ziel des Manifests für neue europäische Grundrechte ist es, Menschen auf dem gesamten Kontinent zu ermuntern, für eine Erweiterung der Charta der Grundrechte abzustimmen – und so einen Verfassungskonvent herbeizuführen. Organisiert wird die Initiative von der Stiftung Jeder Mensch e.V. mit Sitz in Heidelberg. Einer ihrer Mitinitiatoren ist der gebürtige Heidelberger und Unternehmer Johannes von Salmuth. Warum es neue europäische Grundrechte braucht, erklärt er im Interview.

Herr von Salmuth, Sie gehören zu den Unterstützern der ersten Stunde der Initiative. Wie kam es dazu?

Ich war von Anfang an von der Idee fasziniert, die Ferdinand von Schirach in seinem Buch "Trotzdem" letzten Sommer entwickelt hat. Darin hatte er das erste Mal geschrieben: "Warum sollte nicht jedem Bürger das Recht eingeräumt werden, dass seine Daten ausschließlich ihm selbst und keinem anderen, keinem Unternehmen und auch keinem Staat gehören?" Obwohl diese Forderung doch nichts anderes als eine Selbstverständlichkeit ausdrückt, sind wir in unserer Gesellschaft nicht einmal in der Nähe dieses selbstverständlichen Zustandes. Wie viele andere der Unterstützenden sprach ich Ferdinand von Schirach, den ich seit über 30 Jahren kenne, daraufhin an, ob man daraus nicht mehr machen sollte. Im Herbst letzten Jahres half uns ein befreundeter Heidelberger Anwalt dann dabei, einen gemeinnützigen Verein mit dem Namen "Stiftung Jeder Mensch" zu gründen, der in Heidelberg seinen Sitz hat. So startete das Projekt unter Mitwirkung zahlreicher Mitstreitender, vor allem renommierter Verfassungs- und Europarechtler und -rechtlerinnen.

Ferdinand von Schirach fordert in seinem Buch "Jeder Mensch" neue Grundrechte für Europa. Warum ist gerade das Recht das richtige Instrument, allgemeine Ziele zu verfolgen, und nicht politischer Aktivismus, wie ihn etwa Fridays for Future betreibt?

Aus meiner Sicht ist unser Vorschlag anders politisch aktiv. Wir leiten Forderungen wie solche von Fridays for Future auf ein konkretes Ziel – nämlich dahin, dass es in einem Verfassungskonvent diskutiert wird und die Forderung nach einer intakten Umwelt dann idealerweise auch in Form von Grundrechten für nachfolgende Generationen festgeschrieben wird. Der Abstraktionsgrad, den diese Grundrechte mit sich bringen, beinhaltet die Chance, dass Themen und Ziele nicht sofort im politischen Klein-Klein zerrieben werden. Hinter den Zielen, die hinter den Grundrechten stehen, können sich viele Menschen versammeln, egal welcher politischen Orientierung. Und das hat eine starke einigende Kraft – selbst, wenn man sich auf dem Weg, wie diese Ziele letztlich erreicht werden sollen, natürlich noch wunderbar streiten kann.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Wir streiten uns ja alle darüber, wie wir den Klimawandel stoppen können. Aber gleichzeitig sind sich die meisten von uns sehr einig darin, dass wir den Klimawandel aufhalten, unsere Umwelt nicht weiter schädigen wollen. Und genauso wenig wollen wir, dass unsere Produkte auf menschenrechtsunwürdige Art hergestellt werden. Auch wenn viele, wie auch ich, ein nationales bürokratisches Monster wie das gerade verabschiedete "Lieferkettengesetz" gelinde gesagt für verbesserungswürdig halten.

Es gibt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Europäische Menschenrechtskonvention, eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union, zudem die einzelnen Verfassungen der Mitgliedsstaaten. Warum braucht es nun sechs zusätzliche Menschenrechte?

Die fünf Problemfelder, die in dem Buch in Form der Grundrechte angesprochen werden, gab es bei der Entstehung früherer Verfassungen und Abkommen noch nicht. Nicht einmal vor 20 Jahren, als die Europäische Grundrechtscharta entworfen wurde, waren diese Themen so wichtig und prägend, wie sie es heute sind. Die bestehenden Rechte werden einigen zentralen Herausforderungen daher nicht mehr gerecht. Die neuen Grundrechte hingegen werfen Anker zu gewissen Themen aus, um die herum sich ein neuer europäischer Gesellschaftsvertrag bilden kann. Ob sie am Ende so richtig sind, wie im Buch beschrieben, ob sie verändert werden müssen, ob neue dazukommen oder welche wegfallen – das entscheidet sich dann im demokratischen Prozess des Konventes. Schirachs Buch ist eine poetische Einladung an "jeden Menschen", gemeinsam Zukunft zu gestalten, versehen mit einem ganz konkreten Umsetzungsvorschlag.

Wie könnten die geforderten Grundrechte konkret eine Verbesserung der Lebenswelten vieler Menschen herbeiführen?

Nehmen wir zum Beispiel das Grundrecht auf Wahrheit. Wir alle haben erst vor wenigen Monaten gesehen, wie der amerikanische Präsident unentwegt behauptete, die Präsidentschaftswahl sei gefälscht, obwohl sämtliche Gerichte seines Landes diesbezüglich völlig eindeutige Urteile fällten. Gäbe es die neuen Grundrechte, sähe sich ein europäischer Politiker in einem vergleichbaren Fall der Gefahr ausgesetzt, dass Klage gegen ihn erhoben würde. Vielleicht würde das auch europäische Populisten vom Schlage Orban eher davon abhalten, eine solche Vorgehensweise nachzuahmen.

Fast 80.000 Menschen haben den Appell für neue Grundrechte bereits unterzeichnet. Wohin soll es noch gehen?

Wir hoffen natürlich, dass sich noch möglichst viele Menschen dieser Aktion anschließen, insbesondere da das Buch erst seit gestern zu kaufen ist. Die größte Chance, dass die Politik sich des Themas annimmt, ja annehmen muss, besteht, wenn daraus eine echte Bürgerbewegung entsteht. Das Buch heißt deswegen ja auch "Jeder Mensch", weil jeder Mensch mitwirken kann. Daher ist es extrem wichtig, dass Unterstützer für das Projekt stimmen. Es geht darum, eine Antwort zu finden auf die Riesenherausforderungen unserer globalisierten, digitalisierten Welt. Wir können es klüger machen als es unsere Vorfahren gemacht haben, die sich oft erst nach großen Katastrophen an grundsätzliche Fragen herangetraut haben. Diese neuen Grundrechte bieten eine große Chance, nicht viel weniger als eine bessere Welt für unsere Kinder zu schaffen, einen neu justierten Gesellschaftsvertrag für Europa.

Info: Ferdinand von Schirachs Vorschlag für die neuen europäischen Grundrechte ist seit dem 13. April als Buch mit dem Titel "Jeder Mensch" im Luchterhand-Verlag erhältlich (32 Seiten, 5 Euro). Für die Grundrechte abstimmen kann man auf www.jeder-mensch.eu.

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