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80 Jahre Deportation nach Gurs: Juden waren bedeutender Faktor im Eberbacher Leben

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		80 Jahre Deportation nach Gurs:  Juden waren bedeutender Faktor im Eberbacher Leben

Von Rainer Hofmeyer

Eberbach. Ein Pferdefuhrwerk kommt, um den Sarg am Wohnhaus des Verstorbenen abzuholen. Es ist der Jude Alfred Freudenberger. Er ist am 8. Februar 1940 im Alter von 55 Jahren in Eberbach verschieden. Abfällig johlt die herumstehende Menge. Und es sind nicht etwa SS-Leute oder SA-Männer in Uniform oder Zivil. Es sind grölende Zuschauer aus der übrigen Bevölkerung – zwar nicht sehr viele, aber es gibt sie.

Alfred Freudenberger hatte einen Laden in der Hauptstraße, Kreuzung Obere Badstraße. Eine Zeitzeugin erinnerte sich an diese schockierende Szene. "Es waren sogar Geschäftsleute dabei". Alfred Freudenberger wurde auf dem jüdischen Friedhof am Ohrsberg beigesetzt.

Nur wenig mehr als ein Jahr vorher, am Morgen des 10. November 1938, beim "Reichskristallnacht" genannten Pogrom, hatte Alfred Freudenberger als Synagogenvorsteher den Schlüssel zum jüdischen Gotteshaus an die SS herausgeben müssen. Er musste mit ansehen, wie man das kleine Gebäude an der Brückenstraße in Brand steckte. Freudenbergers eigenes Geschäft, eine Eisenwarenhandlung, wurde in jener Nacht ebenfalls schwer demoliert.

Die Nazis hatten ab 1933 den Hass gegen die Juden auch in Eberbach auf einen Höhepunkt getrieben. Juden waren im 19. Jahrhundert, im liberalen Großherzogtum Baden, zu gleichberechtigten Bürgern geworden, emanzipierter Teil der Eberbacher Bevölkerung.

Sie waren in Vereinen und städtischen Gremien vertreten, hatten ihre Geschäfte, ihre Kundschaft aus allen Schichten. Die Juden waren wie alle anderen auch Deutsche, und sie fühlten sich auch so. Sie nahmen am Ersten Weltkrieg teil. Von den 24 jüdischen Eberbacher Kriegsteilnehmern sind drei gefallen. Neun wurden mit dem Eisernen Kreuz für Tapferkeit geehrt. Und Alfred Freudenberger erhielt als Soldat bei den Schutztruppen in Übersee sogar den Pour-le-Mérite-Orden, die bedeutendste militärische und zugleich zivile Auszeichnung. Seit dem 14. Jahrhundert gab es nachweislich Juden in Eberbach. Landesherr Ruprecht der Ältere stellte dem Eberbacher Juden Lazron 1380 einen Schutzbrief aus. Unter Ruprecht II. wurden 1391 sämtliche Juden aus der rechtsrheinischen Kurpfalz vertrieben.

Später, 1743, wird wieder über einen Juden namens Löw Moyses in Eberbach berichtet. In der folgenden Zeit waren teilweise nur zwei, drei jüdische Familien hier beheimatet. 1900 stand die jüdische Gemeinde in Eberbach in ihrer ganzen Blüte. Im Zenit war die Höchstzahl von 138 Mitgliedern notiert.

In einigen städtischen Gremien Eberbachs waren Juden überproportional vertreten. Dem städtischen Bürgerausschuss gehörten nicht weniger als acht an. Im Odenwaldklub, im Roten Kreuz und im Verkehrsverein betätigten sich Juden frei. Hingegen waren die Rudergesellschaft und der evangelische Liederkranz für sie tabu.

Von 1914 bis 1924 fungierte der Jude Alfred Blum als Eberbacher Bahnhofsvorstand, eine lokale Schlüsselposition sondergleichen. Ganze 38 Jahre lang war Benjamin Levy in herausragender Position beim Eberbacher Deutschen Roten Kreuz, zuletzt sogar Transportführer. Die Nazis verboten ihm gleich im Jahr der Machtübernahme 1933 die Mitgliedschaft. Levy verlor alle Ämter. Er starb 1941 im Lager Gurs.

Zahlreiche jüdische Geschäfte waren bis in die Nazi-Zeit in der Stadt ansässig. Kellereistraße, Obere Badstraße und Hauptstraße – mittendrin im damaligen geschäftlichen Zentrum waren die Juden mit ihren Läden.

Die jüdischen Geschäfte hatten einen guten Ruf. Textilien und Manufakturen seit 1919 bei Levy & Wolf in der Oberen Badstraße 18, dann Hausnummer 14. Adolf David (gestorben in Gurs) mit seinem Gemischtwarenladen in der Kelle­reistraße 9. Aron David, genannt "Zick", ebenfalls in Gurs umgekommen, hatte sein Schuhgeschäft in der Hauptstraße 14. Und eben Alfred Freudenberger mit seiner Eisenwarenhandlung, seit 1881 im Besitz der Familie, inzwischen führend in der Branche, es wurde in die ganze Umgebung geliefert.

Mehrere jüdische Metzgereien waren in der Stadt: Moses Ottenheimer, Ferdinand Bär (nach Holland ausgewandert) in der Kellereistraße 4 bzw. 26. In der Backgasse 1 schlachtete Israel Mayer koscher – nach den jüdischen Speisegesetzen. Das Ritual des Schächtens hielt auch christliche Metzger nicht ab, für die jüdischen Mitbürger zu liefern. Zwei nichtjüdische Fleischer ließen wöchentlich von jüdischen Schächtern schlachten.

Es gab die Viehhändler – Vater und Sohn – Jakob und Siegfried Götz (nach Argentinien ausgewandert) und Selig Seligmann. Albert David handelte in der Güterbahnhofstraße 10 mit Schmierölen und -fetten. Aus dieser Familie entstammte Sante (Siegfried) David.

Düstere Geschichte des Hauses der Davids: Es wurde 1930 verkauft und SS-Heim. Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 änderte alles im Leben der Eberbacher Juden. Einige ihrer Läden wurden zerstört. Ihre Einzelhandelsgeschäfte mussten sie danach aufgeben, Inventar und Lagerbestände gingen zum Spottpreis an "arische" Ladeninhaber. Innerhalb von vier Jahrzehnten, vom Höhepunkt mit 138 Gemeindemitgliedern bis zum Todesjahr von Alfred Freudenberger 1940, ging’s mit der Zahl der Juden in Eberbach stetig bergab.

Die meisten waren in die Großstädte abgewandert, überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen. Jeder dritte badische Jude lebte inzwischen in Mannheim.

Fünfzehn Eberbacher Juden gelang zwischen 1936 und 1939 die Auswanderung in die USA und Argentinien.

Am Tag ihrer Deportation nach Südfrankreich, dem 22. Oktober 1940, lebten noch siebzehn Juden in Eberbach. Sechzehn mussten die Reise ins Verderben antreten. Davon überlebten nur drei.

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