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Heidelberg: Der Erfinder des Weihnachtsmarktglühweins

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		Heidelberg:  Der Erfinder des Weihnachtsmarktglühweins

Von Micha Hörnle

Heidelberg. Wenn es einen Weihnachtsmarkt-Veteranen gibt, dann Christoph Schneider. Der gebürtige Kurpfälzer mit Wohnsitz in Frankfurt hat seit 26 Jahren seinen eigenen Glühweinstand auf dem Marktplatz – und ganz nebenbei hat er auch den „Heidelberger Weihnachtsmarkt-Glühwein“ erfunden (oder vielmehr erfinden lassen). Seine vielen Erlebnisse und Anekdoten hat er in einem Buch zusammengetragen, das gerade frisch erschienen ist.

Und da gerade die Kommunalpolitik über die Herkunft des Glühweins diskutiert hat: Schneiders Gebräu wird seit 1996 vom Leimener Weingut Adam Müller produziert, da war Schneider noch ganz frisch in dieser Branche. Zum Weihnachtsmarkt kam Schneider eher zufällig. Von 1991 an hatte er zehn Jahre lang das „Café do Brasil“ am Marktplatz, das alte „Café 7“, betrieben. Und direkt vor seiner Tür war eben das adventliche Treiben, weswegen er es auch einmal versuchen wollte – wenn auch zunächst 1993 mit einer brasilianischen Strandhütte, deren Produkte aber floppten. Denn bis dahin hatte er mit Glühwein & Co. nie etwas zu tun gehabt, auch in der „Strandhütte“ gab es mehr brasilianische Spezialitäten als Deutsch-Deftiges.

Kurz darauf sah er mitten auf dem Heidelberger Weihnachtsmarkt, wie der Christkindelsmarkt-Glühwein des Nürnberger Großproduzenten Gerstacker ausgeschenkt wurde. Das ließ ihn nicht ruhen: „Das ist doch Blödsinn, wir sind doch in Heidelberg! Wir brauchen einen eigenen Glühwein – mit einem richtigen Etikett, und der Wein muss von hier sein.“ Und da das Weingut Adam Müller schon sein Café belieferte, war man sich schnell einig. Eigentlich wollte er aus dieser Idee ein bundesweites Geschäftsmodell machen, also für jede Stadt einen „Original-Glühwein“, aber das scheiterte. Immerhin haben Schneider und Müller weitgehend das Monopol auf den Heidelberger Weihnachtsmarkt-Glühwein, der auch bei den beiden Ständen von „Heidelberg Marketing“, an der Eisbahn und der Weihnachtspyramide – die für das neue Große Fass auf den Uniplatz verlegt wurde – verkauft wird.

Das Geschäft, daraus macht Schneider gar kein Hehl, ist einträglich: „Wir nennen es das rote Gold“, sagt er – wahrscheinlich ist bei keinem Produkt, das auf dem Weihnachtsmarkt zu kaufen ist, die Gewinnmarge so hoch. Und tatsächlich half das Glühweingeschäft auch, dass Schneiders Marktplatz-Café über die schwachen Wintermonate kam. Aber wird man damit reich? Zumindest ermöglichen die Erlöse seines Glühweinstandes, dass Schneider den Rest des Jahres nicht arbeiten muss „und doch anständig leben kann“, wie er berichtet. Er verbringt viel Zeit mit Reisen („Ich bin Single, ich kann mir das erlauben“), und oft genug zieht es ihn in den Osten. Allein in diesem Jahr war er sieben Mal in Polen, denn dort ließ er seine neue Hütte bauen: Und seit dieser Saison steht ein runder Stand mit dem Heidelberger Schloss auf dem Dach (daher auch der Name „Heidelberger Glühwein-Schloss“) auf dem Marktplatz – aufzubauen in 90 Minuten und ansonsten bei einem Bekannten im Odenwald in zwei Teilen eingelagert.

Außerdem hat er eine neue Mission: Er will in Russland richtige Weihnachtsmärkte etablieren. Dazu hat er ein großes Netzwerk an Kontakten aufgebaut, manchmal könnte man meinen, Putin gehöre auch dazu. Denn Schneider ist mit einer der kommunikativsten Budenbetreiber, kulturelle oder sprachliche Grenzen kennt er genauso wenig wie gelegentliche leichte Übertreibungen: „Das mit dem Weihnachtsmarkt in Russland ist auch eine Art Friedensarbeit.“

Seine Vorliebe zu Russland kann er selbst nicht ganz genau erklären – außer der zu russischen Frauen –, es ist wohl eher eine Seelenverwandtschaft. Zumal man dort Schneiders zupackende Art offenbar zu schätzen weiß. Einmal war er ganz dicht dran: In der Heidelberger Partnerstadt Simferopol war fast alles schon in trockenen Tüchern, dann annektierte Russland die Krim, der Westen verhängte Embargos, und das Projekt platzte. Aber auch danach ließ er seine Kontakte nicht schleifen, zumal er regelmäßig das russisch-orthodoxe Kloster St. Georg in der Uckermark besucht – offenbar ein ganz geeigneter Platz zum Netzwerken mit Russen. Im Moment sieht es danach aus, als würde in eine ehemalige deutsche Stadt, Kaliningrad (einst Königsberg), wieder etwas deutsche Tradition einziehen, denn dort könnte es einen „richtigen“ Weihnachtsmarkt geben. Etwas Ähnliches gibt es dort bereits, aber das sieht mehr nach einem billigen Rummel als nach einem stimmungsvollen Weihnachtsmarkt aus. Und auch Schneider sagt, was man wohl selten über Russen hört: „Da fehlt die Seele.“ Und die besteht vor allem aus deutschem Know-how.

Denn dazu gehört auch, nicht stehen zu bleiben. Wer in Schneiders Buch blättert oder ihm zuhört, merkt bald, dass es unaufhörlich in ihm arbeitet, dass die Ideen nur so sprudeln: der deutsche Weihnachtsmarkt in Russland, das Schloss auf dem Glühweinstand – und natürlich die Weiterentwicklung des Glühweins an sich. Gab es früher nur schlicht den roten, kam bald ein weißer und schließlich ein pinker für die nicht-heterosexuelle Zielgruppe zusammen; dessen Etikett gestaltete übrigens der vor einem Jahr verstorbene Heidelberger Künstler Pieter Sohl. Ganz neu ist ein Glühwein aus edlen Merlot-Trauben für gehobene Ansprüche. Schneider spricht es nicht oft an, aber nur eitel Sonnenschein ist der Weihnachtsmarkt nicht. In seinem Buch wird manchmal angedeutet, wie hart und intrigenreich dieses Geschäft ab und an ist. Und doch hat sich der 58-Jährige – er hat aus einer früheren Beziehung einen Sohn, der in Frankreich lebt – seine sonnige Art bewahrt: Er gibt ganz gern am Stand den Alleinunterhalter, zumindest abends von 18 bis 21 Uhr. Den Rest der Zeit verbringt er in einem angemieteten Häuschen im Pfaffengrund, organisiert etwas rund um seinen Stand und arbeitet mit großem Elan an seinem Russland-Projekt.

Schneiders leutselig-zugewandte Art („Erst der Kunde, dann der Euro“) mag auch daran liegen, dass er dort seine Karriere begann, wo man kommunikativ sein muss: in der Gastronomie. Nach seiner Schulzeit im Boxberg-Gymnasium – diese private Bildungsstätte gibt es seit über 30 Jahren nicht mehr – machte er seine Ausbildung im Schwetzinger Hotel Löwen, in dem öfters Prominenz abstieg, die im Rokokotheater auftrat. Und Schneider, dessen Eltern in Ketsch wohnten, hatte die Aufgabe, die Schauspieler zu betreuen. Gern erinnert er sich an Curd Jürgens, der die letzten Jahre vor seinem Tod 1982 regelmäßig mit dem Ein-Mann-Stück „Im Zweifel für den Angeklagten“ gastierte. Schneiders wichtigste Aufgabe: dem Weltstar seine Lieblingsschneckennudel besorgen. Mit Harald Juhnke und Horst Frank leerte er so manche Flasche, schweigt sich aber zum Inhalt dieser Gespräche hartnäckig aus.

Dann wechselte er auf die Hotelfachschule und später zu McDonald’s: „Aus dieser Zeit habe ich mein ganzes Dienstleistungswissen her.“ Dann kam auch schon seine Heidelberger Zeit samt Café und Weihnachtsmarkt – die große Wohnung war in Schönau, die kleine direkt über dem Café. Seit vielen Jahren lebt er in Frankfurt: „Eine tolle Stadt, es ist meine Wahlheimat – zumal ich da günstig wohne. Aber mein Herz schlägt für Heidelberg.“

Und weil er ein einnehmendes Wesen hat, gelang es ihm auch, dass Bernd Schmidbauer ein Grußwort zum hundertseitigen Büchlein schrieb: Schmidbauer, Spitzname „008“, war nicht nur Staatsminister unter Helmut Kohl (und dort für die Geheimdienste zuständig) und von 1983 bis 2009 CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Rhein-Neckar, sondern einst auch auf dem Boxberg-Gymnasium Physiklehrer und Direktor: „Ein wunderbarer Lehrer“, erinnert sich Schneider.

Hat einer, der sich seit 26 Jahren mit Weihnachtsmärkten beschäftigt, noch einen Traum? Ja: „Glühbier, aber ein richtiges, das auch noch im Krug gereicht wird. Das würde mich reizen.“

Info: Christoph Schneider: 25 Jahre Weihnachtsmarkt – ein Glühweinverkäufer erzählt“, Tredition-Verlag Hamburg, 101 Seiten, 11,99 Euro (wer mit einem Buch zu Schneiders Glühwein-Schloss auf dem Marktplatz kommt, erhält einen Becher Glühwein gratis).

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