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Reihe in der Neuen Uni Heidelberg: Weltuntergangsszenarien in der modernen Literatur

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		Reihe in der Neuen Uni Heidelberg:  Weltuntergangsszenarien in der modernen Literatur

Von Heribert Vogt

Heidelberg. Das Image des Schwarzsehers der Nation hing dem Schriftsteller Günter Grass schon damals an - vom späteren Nobelpreisglanz war noch nichts zu spüren. So stieß sein 1986 erschienener Roman "Die Rättin" nicht nur auf wenig Gegenliebe, sondern löste vielmehr ein regelrechtes Kritikgewitter aus. Und mittendrin trat Grass (1927-2015) eine halbjährige Reise nach Indien an, die für manchen wie eine spektakuläre Flucht aussah.

Nun wertete der Heidelberger Germanist Helmuth Kiesel das damals umstrittene Grass-Werk in seinen Ausführungen zum Thema "Göttersturz und Menschheitsdämmerung. Weltuntergangsszenarien in der modernen Literatur" als wichtiges Werk zur Apokalypse. In dem Roman spricht die Rättin bereits leitmotivisch vom "Müllgebirge".

Der Metaphernstrang einer vermüllten Welt mit Deponien und Müllhalden als Bezeichnungen für endzeitliche Szenarien findet sich dann auch bei weiteren Gegenwartsautoren. Frei nach Rainer Werner Fassbinder geht es um die gigantische Mülllawine, die schwer belastete Erde und den drohenden Tod - heute anschaulich zu beobachten beim allgegenwärtigen Plastik im Meer.

Kiesel eröffnete Dieter Borchmeyers Veranstaltungsreihe in der Neuen Universität, die unter dem Motto "Weltuntergang und letzte Dinge" steht. Der Gastgeber selbst verwies auf das epochale Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755, das mit einem Großbrand und einem Tsunami die portugiesische Hauptstadt fast vollständig zerstörte. Mit bis zu 100.000 Todesopfern gehört es zu den verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte. Auch in der aktuellen Zerstörung der so geschichtsträchtigen Pariser Kathedrale Notre-Dame scheint die drohende Apokalypse auf.

Nach Borchmeyer hatte das Erdbeben von Lissabon starke Auswirkungen auf die Philosophen der Aufklärung. Es stellte sich die Frage: Wie kann ein gütiger Gott das Übel in der Welt zulassen? Goethe sprach in "Dichtung und Wahrheit" vom "ungeheuren Schrecken", den das Erdbeben auslöste. Es war ein apokalyptisches Großereignis, das die Welt- und Gottessicherheit der Menschen in den Grundfesten erschütterte. Danach ziehen sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Katastrophenszenarien in dichter Folge durch die Literatur.

Kiesel unterstrich, dass die vorherige Mythenorientierung der apokalyptischen Werke im 20. Jahrhundert nachlässt und weniger Götter auftauchen. Der Mensch wird zur Hauptgestalt der Weltuntergangsliteratur, und weltliche Faktoren wie die Atomkraft treten als Verursacher in den Vordergrund. Es bleiben jedoch mythologische Anregungen, wie etwa in Tankred Dorsts Drama "Merlin oder Das wüste Land" (1981), in dem die Artussage sowie T.S. Eliots großes Gedicht "The Waste Land" (1922) zusammenfließen. Bei Dorst haben die alten Götter abgewirtschaftet. Grundsätzlich meint die Apokalypse das Entstehen einer neuen Welt, und die Katastrophe ist dafür nur die vorbereitende destruktive Phase.

Im Jahr 1919 stiftet Kurt Pinthus mit der expressionistischen Gedichtsammlung "Menschheitsdämmerung" das Leitwort für die damalige Epoche. Enthalten ist das berühmt gewordene Gedicht "Weltende" von Jakob van Hoddis von 1910, das heute als eines der großen prophetischen Gedichte gilt. Im Jahr 1912 lag dann Apokalypse in der Luft: An den Rändern Europas zogen Kriege, Revolutionen und Attentate herauf; hinzu kam der Untergang der Titanic. Es folgte der Erste Weltkrieg mit Reaktionen von Karl Kraus ("Die letzten Tage der Menschheit", Drama 1915-1922) oder Hermann Broch ("Die Schlafwandler", Romantrilogie ab 1930). Bei Kraus heißt es am Ende: "Zerstört ist Gottes Ebenbild."

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erschien Ernst Jüngers Roman "Auf den Marmorklippen" (1939). Darin überzieht ein Despot eine Kulturlandschaft mit einem apokalyptischen Feuer, das Jünger als "Purpurmantel der Vernichtung" beschreibt - eine "ungeheure Ästhetisierung der Apokalypse, des Weltenbrandes", so Kiesel. Aber die "Schönheit des Untergangs" ist auch bei anderen Autoren anzutreffen. 1943 ist bei Jünger von den "Judengreueln" die Rede, "die das Universum gegen uns aufbringen". Nach 1945 wird die Katastrophe bei Paul Celan verinnerlicht, sie geht in die Sprache ein und frisst sie auf.

In den 1980er Jahren sind auch zwei Titel von Christa Wolf zu nennen: "Störfall" (1987) über die Tschernobyl-Katastrophe sowie "Kassandra" (1983), eine Kritik an der europäischen Rationalität, die immerzu in Vernichtung hineinführt. Dazwischen erscheint 1986 der eingangs angesprochene Roman "Die Rättin" von Günter Grass, in dem die Menschheit durch einen Atomschlag vernichtet wird, während die Ratten überleben.

Im gedanklich-geistigen Hintergrund dieses Werks spielt zum einen Gotthold Ephraim Lessings Traktat "Die Erziehung des Menschengeschlechts" (1780) eine Rolle. Grass widerruft dessen Utopie von einer aufgeklärten Welt ohne Götter, in der "die Menschen das Gute tun, weil es das Gute ist". Zum anderen ist der Text "Die Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno von 1947 relevant. Am Ende steht der ernüchternde Satz: "Die vollends aufgeklärte Welt strahlt im Zeichen triumphalen Unheils." Und das wird in der "Rättin" vor Augen geführt. Das Buch knüpft vielfach an apokalyptische Vorstellungen an. Und zwar in einem dramatischen Zusammenhang.

Dagegen findet sich auch die Tendenz zur Banalisierung der Apokalypse. Sie ist charakteristisch für die Posthistoire - die Zeit nach der Welthistorie, von der Francis Fukuyamas berühmtes Buch "Ende der Geschichte" (1992) handelt. In Ernst Jüngers Roman "Eumeswil" (1977) lebt eine Endzeitgesellschaft zum Schluss auf einer Deponie. Schon bei Jünger wird selbst das Meer zu einer solchen, die letzten Menschen werden zu lemurenhaften Kretins. Eine Vision der Postmoderne. Und in Hans Magnus Enzensbergers großes Poem "Der Untergang der Titanic" (1978) geht es um die Kollision von Kommunismus und Kapitalismus.

Zum Millennium wurden am 30. Dezember 1999 in der FAZ zwei Gedichte von Volker Braun und Enzensberger abgedruckt. In Brauns Gedicht "Da habt ihr das Jahrhundert" findet sich der Passus: "wir auf den Deponien ausgesetzt". In Enzensbergers "Auch ein Millennium" geht die Apokalypse "zwischen Müllparadiesen und Müllhalden" weiter.

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