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Sport | Kann man noch ein Fan von Jewgenij Pluschenko sein?

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Der Eiskunstläufer Jewgenij Pluschenko ist ein guter Freund Wladimir Putins. Weil er auch genial war, schien das lange Zeit nicht so wichtig. Und jetzt?

Jewgenij Pluschenko aus Russland war ein großartiger Eiskunstläufer. Er gewann alle Titel mehrmals. Doch vor allem war er einer, der sein Publikum liebte. Noch besser als Kurzprogramm und Kür waren die Geschichten, die er beim Schaulaufen aufs Eis zauberte. Diese wettkampffreie Form der Darbietung leistet sich nur der Eiskunstlauf, das erhebt ihn über alle anderen Sportarten; jede Europa- und Weltmeisterschaft, auch die Olympischen Spiele feiern dieses Happy End. Pluschenko trug eine Menge dazu bei.

Andere Medaillengewinner drehten ein paar Pirouetten und holten sich die Standard-Aufwandsentschädigung des Verbandes ab, Pluschenko brachte eine eigene Lichtshow mit, er kletterte über die Bande, stapfte in Schlittschuhen die Ränge hoch, flirtete mit dem Publikum, und er gab so viele Zugaben wie gefordert. Sogar bei einem siegreichen russischen Eurovision-Song-Contest-Beitrag wirkte Pluschenko als Überraschungsattraktion mit. Man musste ihn einfach lieben.

Kann man es jetzt noch tun? Jewgenij Pluschenko ist ein guter Freund von Wladimir Putin. Diese politische Komponente war immer bekannt, sie erschien nur den meisten nicht so wichtig. Viele Sportler stellen sich gut mit den Politikern ihres Landes, die Aufmerksamkeit von oben schmeichelt ihnen. Doch nun steht Pluschenko einem Kriegstreiber nahe, und sein individueller Glanz war rückblickend der des Systems, das einen Völkerrechtsbruch vorbereitete.

Auch den Sport erfasst nun die Frage, die die Kunst schon länger umtreibt: Kann man Werk und Urheber trennen? Darf man sich dem Musikschwulst des Antisemiten Richard Wagner hingeben, darf man zu Michael Jackson tanzen nach dem, was alles gegen ihn an Missbrauchsvorwürfen im Raum steht, darf man die House of Cards-Staffeln mit dem übergriffigen Kevin Spacey genießen? Und nun also: Darf man ein Fan von Jewgenij Pluschenko sein oder des in den USA spielenden Eishockey-Genies Alexander Owetschkin, dessen Instagram-Profilbild ihn mit dem russischen Präsidenten zeigte?

Vielleicht neigen wir bei Sportstars dazu, sie zu idealisieren, sie auch in anderen Lebensbereichen für unanfechtbar zu halten. Ihre Lebensleistungen brennen sich in unser Gedächtnis ein. Die Wahrnehmung von Helden zu revidieren, würde bedeuten, einen Teil unserer Vergangenheit aufzugeben. Doch es sind Zeiten, in denen wir Abschied nehmen müssen von der Sicherheit alter Bilder. Nicht nur wegen des Kriegs gegen die Ukraine. Auch wie sich manche deutsche Sportgrößen in der Coronakrise positioniert haben, hat uns mit ihnen brechen lassen: vom Fußball-Weltmeister Thomas Berthold bis zum ehemaligen Triathlonstar Faris Al-Sultan – abgedriftet ins antidemokratische Milieu.

Der Grundsatz, dass das Image, das einer in seiner aktiven Zeit von sich schuf, ewig hält, gilt nicht mehr. Wir können die alten Schaulauf-Comedy-Aufnahmen von Jewgenij Pluschenko bei Youtube nicht mehr abrufen, ohne auf seinen Körper den Kopf von Putin montiert zu sehen.

Doch wir finden auch Trost. Die Krise bringt in manchen hervor, was wir bei ihnen nicht vermutet hätten. Die Klitschko-Brüder waren zu ihrer Zeit als Boxer zwar populär, wie die Einschaltquoten zeigten, doch Vitali und Wladimir wurde nachgesagt, dass sie dem Kampf im Ring mit ihrem Kalkül und der Kunst des Ausweichens die Seele nähmen. Nun erleben wir sie in Kiew im Krieg anstatt im sicheren Jetset-Leben, das sie mit ihrem Geld überall auf der Welt führen könnten. Sie leisten für ihr Land etwas, das wertvoller ist als der falsche Hochglanz eines gewonnenen Wettbewerbs und eines Schaulaufens.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

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