Der Erfinder von Dirk Nowitzki
Holger Geschwindner, einst mit dem MTV 1846 Gießen Deutscher Basketball-Meister, wird an diesem Dienstag 80 Jahre alt.
Mitte Oktober, als die Altvorderen des MTV 1846 sich ihrer Erfolge erinnern und gefühlt die ganze Stadt sie feiert, wabert wieder dieser Hauch des Unberechenbaren, des Geheimnisvollen, des Unwägbaren durch Gießen. Kommt er? Oder kommt er nicht? Eine Einladung für das Jubiläums-Wochenende hat er natürlich seit Wochen vorliegen. Und telefonisch auch schon mal verkündet, dorthin zurückzukehren, wo alles begann.
Doch Holger Geschwindner taucht am Freitag nicht auf. Als sich der harte Kern der Feiernden am Samstagmittag aber im Traditionslokal Hawwerkasten hessische Hausmannskost genehmigt, geht plötzlich die schwere Eingangstür auf und ein Senior im Holzfällerhemd betritt das Lokal. Um Freunde wiederzusehen. Um alte Geschichten aufleben zu lassen. Aber auch um zu dokumentieren: Den Männerturnverein, der längst Gießen 46ers heißt, hat er nicht vergessen, er hat ihm viel zu verdanken.
Was auch für Basketball-Superstar Dirk Nowitzki in Bezug auf Holger Geschwindner gilt. Er sei sein „Mentor, Manager, Freund, Privatlehrer, ja manchmal sogar mein zweiter Vater“, erzählt der heute 47-Jährige, der 20 Jahre für die Dallas Mavericks auflief und mit den Texanern 2011 NBA-Champ wurde, einst in einem SPIEGEL-Interview. Es ist die Geschichte einer Männerfreundschaft, eines Erfolgswegs, ja eines Märchens, das irgendwie in Mittelhessen seinen Anfang nimmt.
In Laubach besucht der in Bad Nauheim geborene Holger Geschwindner das Graf-Friedrich-Magnus-Alumnat, an dem er auch seine ersten Dribblings absolviert. Nach Abitur und Bundeswehr wechselt er zum MTV 1846 Gießen, mit dem er dreimal Deutscher Meister (1965, 1967, 1968) sowie 1969 Pokalsieger wird. Parallel dazu studierte er Mathematik und Physik. 1971 geht er nach München und forscht am Max-Planck-Institut. Bei seinen späteren Clubs in Bamberg, Göttingen und Köln lässt er sich stets genügend Freiheiten zusichern, um parallel seinen Forschungsaufträgen nachgehen zu können.
Geschwindner wird 1971 wertvollster EM-Spieler und führt die Nationalmannschaft 1972 bei Olympia in München als Kapitän aufs Parkett. Als ihn Experten mit amerikanischen Profis und sowjetischen Armeesportlern vergleichen, steht ihm die Tür zur NBA offen, er geht aber nie durch sie hindurch. Es sei denn, Dirk Nowitzki ruft an. Was dieser häufig tut. Doch der Reihe nach …
1995 spielt Holger Geschwindner, der es zu seiner aktiven Zeit auf 150 Länder- und 600 Bundesligaspiele gebracht hat, mit seinem Altherrenteam, das er stets liebevoll „meine Renterband aus Eggolsheim“ nennt, in Schweinfurt. Weil die Senioren ein wenig früher als geplant in der Halle sind, schauen sie noch zu bei einem Jugendspiel, „in dem ein langer Dünner, der überhaupt keine technischen Werkzeuge besaß, all das richtig machte, was einen guten Basketballer auszeichnet“, erinnert sich Holger Geschwindner.
Der Oldie bietet dem Youngster an, ihn zu unterstützen, ihn zu fördern, ihn zu entwickeln. Und schon drei Wochen später sitzt der Ex-Nationalspieler zu Hause in der guten Stube beim künftigen Internationalen in Würzburg und trinkt Kaffee mit Papa, Mama und Schwester. Eine im Sport wahrscheinlich einmalige Liaison ist besiegelt …
Fortan profitiert Nowitzki von Geschwindners unkonventionellen Methoden. Er macht Liegestütze auf den Fingerspitzen, absolviert Wald-Spaziergänge im Handstand, lernt ein neue Wurftechnik, die Tüftler Holger am Schreibtisch berechnet hat. Das spätere „German Wunderkind“ macht, wenn es in der Schule mal nicht so richtig funktioniert, Hausaufgaben unter dem Korb, wird durch einen Arzt eng begleitet, liest Bücher wie „Die Geschichte der Natur“ von Carl Friedrich von Weizsäcker und spielt Saxofon. Beigebracht durch Ernie Butler, jenen heute 92-jährigen US-Veteranen, dessen siegbringenden Wurf Geschwindner vor 60 Jahren seinen ersten Titel beim MTV 1846 zu verdanken hat.
„Weil“, so Holger Geschwindner, „es ein blödes Vorurteil ist, dass Intellektuelle körperlich nichts drauf und Sportler nichts im Kopf haben.“ Mentale Mobilität sei die Grundvoraussetzung, um auf allerhöchstem Niveau Sport treiben zu können.
„Holger war halt schon immer ein bisschen anders als alle anderen“, sagt Dirk Nowitzki einmal in einem Deutschlandfunk-Interview. „Seine Ansätze waren anders, irgendwie nicht normal.“ Sie verhelfen dem Schlaks aus Würzburg aber zu Weltruhm, zu Rekorden und Auszeichnungen, die jeden Rahmen sprengen würden, sie aufzuzählen. Und zu einem beachtlichen Vermögen.
Eines, an dem Mentor Geschwindner nie partizipierte. Denn als sein Privatlehrer und Privattrainer lehnt er stets jegliche Bezahlung ab. Auch wenn er drei-, viermal pro Monat in die Staaten fliegt, um Dirk Nowitzki auch außerhalb der Einheiten bei dessen Mavs auf Spur zu bringen.
2012 veröffentlicht Geschwindner ein Buch über seinen Schützling. „Nowitzki. Die Geschichte.“ ist das sonderliche Märchen vom Aufstieg eines schlaksigen Schulbuben zum vielleicht besten weißen Basketballer aller Zeiten. Es ist ein Puzzle aus Tipps und Anekdoten, Albern- und Weisheiten, Philosophie und Pädagogik, Jazz und Literatur. Vom Liebesroman aus Kirgisistan bis zu Lucky Luke, dem einsamen Cowboy, der auf seinem Pferd Jolly Jumper schneller schießt als sein eigener Schatten.
Es ist ein Buch, das informiert, das polarisiert, das eindeutig anders ist als jegliche Sport-Literatur, die die Läden dieser Welt gerade in der Vorweihnachtszeit überschwemmen. Es ist wie sein Autor: unangepasst, kauzig, einfach genial.
An diesem Dienstag (9. Dezember) wird Holger Geschwindner 80 Jahre alt. Die GIESSEN 46ers, die sich noch heute glücklich schätzen dürfen, den einst jungen und durch Alumnat-Schulleiter Theo Clausen geförderten Mann in ihren Reihen gehabt zu haben, sagen voller Stolz: HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!!!
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