Fremdeln in der Fremde
Bei der klaren 82:106-Niederlage in Crailsheim fangen sich die GIESSEN 46ers abermals einen Hunderter ein.
Ob er sauer oder einfach nur enttäuscht sei, wollte ein Journalist kurz nach dem Spiel von Cheftrainer „Frenki“ Ignjatovic wissen. „Enttäuscht“, antwortete der Coach knapp und bündig, „draufhauen bringt gar nichts, die Jungs sind verunsichert genug.“ Was zweieinhalb Tausend vor Ort und die vielen Fans zu Hause vor den Bildschirmen live mitansehen konnten. Ja sogar mussten!
Denn die GIESSEN 46ers fremdeln weiter in der Fremde! Zum zweiten Mal hintereinander haben sie sich auswärts eine kräftige Abreibung eingefangen. Erst 100 Gegenpunkte in Ostwestfalen, nun sogar noch sechs mehr in Hohenlohe. Mit einer deutlichen 82:106 (39:60)-Packung bei den HAKRO Merlins Crailsheim, die sie vergangene Saison noch zweimal besiegt hatten, schlichen die Mittelhessen am Samstagabend nach dem fünften Spieltag in der BARMER 2. Basketball-Bundesliga ProA enttäuscht vom Parkett. Und wollten danach auch gar nichts schönreden.
„Wir waren schlicht nicht gut genug. Crailsheim hat uns in allen Belangen dominiert“, zeigte sich Kapitän Robin Benzing als fairer Verlierer. „Erst sind unsere Würfe nicht reingefallen, dann haben wir angesichts eines schon großen Rückstandes gar keinen Zugriff mehr auf die Partie bekommen“, zeigte sich Luis König Figge „einigermaßen sprachlos.“ Und Center Jonathan Maier gab zu: „Wir sind überhaupt nicht ins Spiel gekommen und hatten keine Lösungen. Am Ende müssen wir uns eingestehen, dass Crailsheim uns besonders im zweiten Viertel echt gekillt hat.“
Es waren jene zehn Minuten vor der Pause, die ebenso wie der vierte mit 12:38 verlorene Abschnitt vor drei Wochen gegen Phoenix Hagen nicht lange in Erinnerung bleiben sollten. Domagoj Vukovic hatte sich gerade am langen Gabriel de Oliveira hochgeschraubt und zum 22:24 verkürzt. Da sich der Center der „Zauberer“ Sekunden danach bei zwei vergebenen Freiwürfen auch noch sichtlich beeindruckt zeigte vom Statement des Kroaten, deutete nichts, aber auch gar nichts nach elf Minuten in der „Stierkampfarena“ darauf hin, dass die Gäste zerlegt werden würden.
Doch weit gefehlt: Kein Dreier fiel bis zur Pause mehr in die Crailsheimer Reuse, nur vier Körbe aus dem Halbfeld und einige Freiwürfe fanden ihr Ziel, so dass die Hausherren mit einem 36:19-Zwischenspurt in gut achteinhalb Minuten nicht nur zur Hälfte der Partie schon alles klargemacht, sondern auch schonungslos die Defizite des Altmeisters aufgedeckt hatten.
Mit drei Treffern vom Perimeter stellten Tyreese Blunt und Keyshaun Langley zu einem Zeitpunkt auf 43:28 (16.), als Liga-Topscorer Kyle Castlin zu seinen ersten Zählern kam. Da Daniel Norl in der Folge beim Ballvortrag im Aus stand, Kyle Castlin die Uhr völlig aus den Augen verlor und auch Robin Benzing sowie Till Gloger an der Freiwurflinie patzten, war die Messe beim 60:39-Halbzeitstand für die Baden-Württemberger längst gelesen.
Dass „Frenki“ Ignjatovic später von einer „Überforderung auf fast jeder Position“ sprach, dass der Cheftrainer über „viele Baustellen“ redete und den Blick auf die Stats in einigen Bereichen als „grausam“ bezeichnete, ließ sich leicht erklären. Schließlich waren 22 Ballverluste einer in dieser Statistik bislang zweitbesten Mannschaft des Unterhauses unwürdig. Da die 46ers aufgrund ihrer schlechten Trefferquote natürlich auch nur zwölf Assists (gegenüber 26 der Merlins) auf das Board brachten, die bisher erfolgreichsten Schützen Kyle Castlin und Robin Benzing (früh mit vier Fouls belastet) nicht wie gewohnt trafen, nur fünf (Crailsheim 13) Drei-Punkte-Würfe niemals ausreichen, um irgendeinen Kontrahenten zu beeindrucken, und auch nur drei Balldiebstähle (Crailsheim elf) viel zu dünn waren, war die deutliche Niederlage schnell analysiert.
„Das Match fühlte sich manchmal so an, als würde eine Profitruppe auf eine Jugendmannschaft treffen“, fehlten Branislav Ignjatovic teilweise die Worte. „Das Einzige, was uns aus diesem Tief herausholen kann, sind Erfolgserlebnisse. Wir arbeiten weiter hart, wir kennen unsere Defizite. Wir dürfen aber nun nicht alles in Frage stellen.“
Außerdem warte er darauf, dass bei dem einen oder anderen endlich der Knoten platze. Bei den Neuen beispielsweise, bei denen Big Man Till Gloger aber immerhin in nur gut sechs Minuten auf dem Feld sieben Punkte besorgte. Vor allem aber bei Regisseur Simon Krajcovic, der nur dreimal warf, aber ohne Punkt blieb. „Mit ihm stehen und fallen unsere Auftritte“, hofft Ignjatovic auf eine baldige Leistungsexplosion des Slowaken, der bislang in fünf Partien erst magere 14 Punkte zustande gebracht hat.
Doch nicht alles, was die GIESSEN 46ers in der Arena Hohenlohe produzierten, war für die Tonne. „Luis König Figge hat uns mit seiner Aggressivität gerade im ersten Viertel viele gute Momente beschert“, lobte „Frenki“ Ignjatovic seinen Energizer, der von der Bank kommend in gut 18 Minuten immerhin sieben Punkte markierte und drei Rebounds einsammelte, mit vier Fouls danach aber auch lange wieder zum Bankangestellten mutierte. Da auch Domagoj Vukovic lichte Momente hatte, Center Jonathan Maier vier von vier Würfen traf und sieben Abpraller aus dem Himmel pflückte sowie die zweite Halbzeit (43:46) einigermaßen auf Augenhöhe verlief, stehen die Zeichen für die kommenden drei Partien gegen Bochum, in Tübingen und gegen Leverkusen auf Attacke.
Und auf Defense! Schließlich wollen die 46ers nicht mehr miterleben müssen, dass andere Profis – wie Crailsheims Antonio Madlock – ihren Teamkameraden eine Runde Donuts spendieren, weil sie dem Gegner einen Hunderter eingeschenkt haben …
Crailsheim: Blunt (17), de Oliveira (11), Langley (14), Gardner (13), Santana, Gaines (12), Otto, Brown, Welp, Madlock (21), Ogunsipe (18).
Gießen: Norl (7), Warnholtz (8), Castlin (12), Benzing (7), Maier (10), König Figge (7), Müsse (n.e.), Vukovic (12), Gloger (7), Junakovic (12), Nyama, Krajcovic.
UND SONST NOCH …
- Unsere Starter: Aiden Warnholtz, Kyle Castlin, Robin Benzing, Jonathan Maier, Simon Krajcovic.
- Unser Konditions-Wunder: Kyle Castlin (31:55 Minuten).
- Unser stärkster Rebounder: Jonathan Maier (7).
- Unsere erfolgreichsten Passgeber: Aiden Warnholtz und Martin Junakovic (je 4).
- Unsere höchste Führung: keine.
- Unsere erfolgreichste Serie: 6:0 zum 79:102 (38. Minute).
- Unsere emotionalen Beobachter: 2409 Zuschauer in der Arena Hohenlohe, davon 20 aus Gießen.
- Unser nächster Auftritt: Samstag, 1. November (19 Uhr), in der Osthalle gegen die VfL SparkassenStars Bochum.
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