Der Entwicklungshelfer
Ex-MTV-Center Jochen Wucherer, den es als Lehrer in den Senegal zog, ist im Alter von 84 Jahren in Mainz verstorben.
Wenn Bernd Röder an seinen ehemaligen Meister-Mitspieler Jochen Wucherer zurückdenkt, dann fallen ihm viele gute Eigenschaften und eine Besonderheit ein. „Er konnte den Hook Shot wie kein Zweiter.“ Jenen als Hakenwurf im Basketball bekannten Schuss, bei dem der Ball mit nach oben ausgestrecktem Arm in einer Bogenbewegung Richtung Korb befördert wird und mit dem der Angreifer durch seinen angewinkelten freien Arm seinen Abstand zum Verteidiger vergrößert. Kareem Abdul-Jabbar und Shaquille O’Neil lassen grüßen …
Doch Jochen Wucherer war viel mehr als nur der Meister des Hakenwurfs. „Er war ein toller Kamerad, ein Riesenkumpel und immer für einen Spaß zu haben“, erinnert sich Bernd Röder. Am vergangenen Freitag ist Jochen Wucherer nach zwei kurz hintereinander erlittenen Schlaganfällen im Alter von 84 Jahren verstorben. Einen Tag vor dem Fünfundachtzigsten seines ehemaligen Mitstreiters Didi Kienast. Und wenige Wochen vor jenen Jubiläumsfeierlichkeiten Mitte Oktober, bei denen die GIESSEN 46ers ihre Meister der Jahre 1965 und 1975 an die Lahn einladen.
Natürlich wäre jener Mann, dessen Name auch noch Jahrzehnte nach seinen sportlichen Erfolgen in Gießen in aller Munde ist, zusammen mit seiner Frau Brigitte in die Osthalle gekommen. Weil er 1967 unter Coach Laszlo Lakfalvi nach einem 85:73-Erfolg und 22 eigenen Punkten in Mannheim gegen den VfL Osnabrück Deutscher Meister geworden war. Und weil seine Söhne Gießen ihren Stempel aufgedrückt haben. Nicolas (heute 55) ab 1991 als Bundesliga-Spieler, Denis (52) zwischen 2013 und 2017 als Coach.
Jochen Wucherer, ein Mainzer Bub, spielte zunächst Fußball. Als 15-Jähriger traf er eine Truppe Handballer, die sich im Freien unter den Körben vergnügten. Schon war es um Jung-Jochen geschehen. Der Virus war in ihm und ließ ihn nicht mehr los. Der Mainzer Turnverein von 1817 wurde seine sportliche Heimat, ein Mittelklasseclub in der damals höchsten deutschen Spielklasse.
Nach dem Abitur und einem Auslandsjahr lockte dann 1965 der amtierende Deutsche Meister MTV 1846 Gießen in Person von „Dschang“ Jungnickel den mittlerweile auf 190 Zentimeter geschossenen kleinen Center nach Gießen. Mit den Besten, mit Bernd Röder, Klaus Jungnickel, Holger Geschwindner und Didi Kienast neben dem Studium (Französisch und Sport) um den Titel zu spielen – das war ganz nach dem Geschmack des ehrgeizigen Mainzers.
Mit einem alten VW Käfer pendelte er abends an die Lahn und wieder zurück. Der „Wühler unter den Brettern“, so Sohnemann Denis, fühlte sich in Gießen wohl, obwohl es damals quasi nichts zu verdienen gab: „Ein Schnitzel nach dem Training, ein Bier und einen warmen Händedruck, mehr nicht“, wie Jochen Wucherer unter Freunden stets zu berichten wusste.
Als er an den Mainzer Lerchenberg zurückkehrte, machte er sein Lehrer-Examen. Er spielte, führte die Frauen des TV Oppenheim (mit Gattin Brigitte) bis in die Bundesliga und förderte seine Söhne, die laut Denis „in der Sporthalle“ aufwuchsen. Beruflich verschlug es den Studiendirektor ab 1994 nach Dakar, wo er Deutsch als „Fachberater für das Auswärtige Amt“, so die offizielle Stellenbeschreibung, als Fremdsprache für Pädagogen aus dem Senegal und Mali unterrichtete und außerdem Lehrer ausbildete.
„Er war dort mehr Entwicklungshelfer als Lehrer“, erinnert sich Denis Wucherer. „Er besorgte in Deutschland Schulbücher und kümmerte sich vor Ort darum, dass die Kinder etwas zu Essen bekamen.“ Ein Haus am Strand, bald drei Jahrzehnte Rückzugsort der Familie im kalten, deutschen Winter, verkauften Jochen und Brigitte erst vor fünf Jahren.
Erst vor wenigen Wochen waren beide mit dem Auto aufgebrochen, um Korsika zu erkunden. „Sie waren mit Freunden unterwegs. Jochen war auf Spurensuche, er wollte noch einmal dorthin, wo er als Student schon war“, erzählt Sohnemann Denis.
Anzeichen, dass es seine vorletzte Reise gewesen sein sollte, gab es keine …
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