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Die Liebe, der Hass und die Osthalle

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Ein Gespräch mit dem 46ers-Neuzugang und Weltenbummler Nico Brauner.

In der Hand ein rotes Buch und ein Notizblock, im Gesicht ein freundliches Lächeln: So betritt Nico Brauner das Cafe in der Johannette-Lein-Gasse in der Gießener Innenstadt. Der Einband des Taschenbuchs verheißt einen Inhalt mit viel Gefühl: „Alles über Liebe“. Ein Liebesroman? »Nein, nein«, antwortet der altbekannte Neuzugang der GIESSEN 46ers, »das sind psychologische Betrachtungen. Sehr interessant. Ich lese das bereits zum zweiten Mal. Jetzt mache ich mir dabei sogar Notizen. Ich lerne viel aus diesem Buch.«

Viel und Neues lernen könnte zugleich die Überschrift zur aktuellen Lebensphase des Spielmachers lauten. Vor zwei Jahren verließ der gebürtige Wiesbadener Mittelhessen, um sich in Hamburg seinen Traum von Erstliga-Basketball zu erfüllen. Nach der vergangenen Saison erklärte der damals 29-Jährige überraschend seinen Rücktritt vom Profisport und ging auf eine halbe Weltreise durch Kanada, die USA, Thailand und Indonesien.

Nun hat der Mann, der als Jugendlicher in Kanada und den USA gelebt und dort Betriebswirtschaftslehre studiert hat, wieder überraschend bei den 46ers angeheuert. Bis zum Saisonende. Keinesfalls länger. Denn danach steht die andere halbe Tour um den Globus an.

Beginnen wir mit einer Fangfrage: Wo ist es schöner? In Mainz oder Wiesbaden?

Brauner (lacht und runzelt dann die Stirn): Da muss ich natürlich Wiesbaden sagen. Da bin ich geboren und aufgewachsen. Tatsächlich ist es lebhafter in Mainz. Aber Wiesbaden ist schon schöner.

Nordamerika oder Südostasien?

Boah, das ist schwierig. Südostasien!

Warum?

Es ist immer warm, schöne Natur, günstig, sicher und auch einfach ein kultureller Unterschied zu dem, was man aus Europa kennt. Deshalb muss ich mit Südostasien gehen. Auch wenn mein Herz noch für Nordamerika schlägt. Also die ersten beiden Fragen sind schon mal nicht leicht.

Sie haben vier Jahre in Kanada und den USA gelebt. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen? Betrachtet man nach der Rückkehr Deutschland mit anderen Augen?

Auf jeden Fall. In Deutschland haben wir schon eine große kulturelle Vielfalt, aber in Kanada ist das noch einmal eine ganz andere Nummer. Gerade auch an der Universität zu sehen, wie viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen dort zusammenkommen, einander akzeptieren, neugierig sind und von einander lernen, ist beeindruckend. Man sagt den Kanadiern ja immer nach, dass sie so freundlich sind, dass sie sich sogar entschuldigen, wenn man sie selbst anrempelt. Und es tatsächlich schön, dort zu sehen, wie freundlich man miteinander umgehen kann.

Da liegt die Frage natürlich nahe, ob Ihnen die Lage hierzulande mit dem Aufkommen rechten Gedankenguts und zunehmender Intoleranz nicht Sorgen bereitet?

Ja, auf jeden Fall. Die aktuelle Lage finde ich schon besorgniserregend. Du hast in den USA einen Donald Trump. Du hast jetzt Neuwahlen hierzulande und das Gefühl, die rechte Bewegung gewinnt immer mehr an Stärke. Du hast Friedrich Merz, der sich so eben mal für eine Bundestagsentscheidung mit der AfD zusammentut. Ja, das besorgt mich. Ich für meinen Teil finde es superwichtig, wählen zu gehen, damit man der AfD so wenig Stimmen wie möglich zukommen lässt.

Sind das auch Themen, die man in einer Basketball-Mannschaft, die mit Spielern aus aller Welt zusammengesetzt ist, bespricht?

Nicht so häufig, aber es kann schon mal vorkommen. In der kompletten Mannschaft ist das selten Thema. Ich glaube dazu sind es dann zu viele Stimmen und Meinungen, als dass man das gut diskutieren kann. Aber es gab vor kurzem einen Abend, da bin ich mit unseren US-Spielern Kyle Castlin und Kevin McClaine sowie unserem Kanadier Aiden Warnholtz ins Gespräch über diese Themen gekommen. Das war für mich sehr interessant, deren Einblicke geschildert zu bekommen, gerade von den Spielern mit afroamerikanischen Wurzeln. Es ging dabei gar nicht sonderlich um die deutsche Situation, sondern mehr um die weltweite Lage. Und die haben ähnliche Meinungen und Sorgen wie ich.

Letzte Frage zu diesem Themenbereich: Sie haben ein paar Jahre in Nordamerika gelebt. Haben wir hier in Deutschland überhaupt den richtigen Einblick in das politische Geschehen dort?

Als ich in den USA gelebt habe, war ich 16 Jahre alt. Da habe ich mich noch nicht so für Politik interessiert. Tatsächlich glaube ich aber, dass der Blick von Deutschland aus manchmal zu einseitig ist. Ich habe in meiner US-Zeit in Michigan auf dem Land mit einem Haufen Republikaner gelebt. Das habe ich damals gar nicht so wahrgenommen. Das ist mir erst später bewusst geworden. Die haben teilweise einfach eine andere Denkweise: Mein Land, mein Eigentum, mein Besitz, ich habe das Recht, eine Waffe zu tragen, mich zu verteidigen. Wenn man mit diesen Menschen zusammenlebt, ist es ein Stück weit leichter, das zu verstehen. Wenn man das nur aus deutscher Perspektive sieht, ist das schwerer, es nachzuvollziehen. Unterm Strich bin ich aber gegen eine derartige Denkweise. Die Kanadier wiederum sind einfach super offen und sehr demokratisch denkend.

Als Sie jetzt im Winter in Gießen angekommen sind, war das eine Art Heimkehr? Oder liegen ihnen die anderen Vereine, für die Sie gespielt haben, genauso am Herzen?

Es ist schon eher eine Heimkehr. Gerade auch, weil Gießen in Hessen liegt und ich ein Hesse-Jung bin (lacht). Ich habe ja schon als Jugendlicher ständig Auswärtsspiele in Gießen gehabt. Klar, das hier ist nicht meine Heimat. Aber es ist mehr eine Heimkehr als das bei anderen Stationen der Fall wäre. Als ich jetzt erstmals wieder in die Kabine kam, hatte ich schon das Gefühl, ich komme wie in ein Wohnzimmer, in dem ich mich wohlfühle.

Hatten Sie in den vergangenen Jahren noch Kontakt zu Spielern oder Trainern hier in Gießen?

Ich bin eng mit Luis Figge befreundet. Mit ihm hatte ich regelmäßig Kontakt. Aber auch zu Roland Nyama ist die Verbindung nie abgerissen.

Bei Ihrer offiziellen Vorstellung hat Trainer Branislav Ignjatovic über Sie gesagt: »Nico ist geboren mit Selbstvertrauen.« Stimmt diese Einschätzung?

Ich würde diese Einschätzung unterschreiben. Ob ich damit geboren bin, weiß ich nicht (lacht). Als kleiner Junge habe ich immer gegen meinen älteren Bruder und seine zwei besten Freunde gespielt, ob es Karten oder Playstation war. Die waren halt bis zu fünf Jahre älter und da musste ich immer die Ellenbogen ausfahren, frech sein und mich behaupten, damit ich dazugehöre. Wäre ich so nicht groß geworden, wäre ich vielleicht auch nicht ein solch ehrgeiziger Wettkämpfer geworden. Das Messen mit anderen hat mir schon immer Spaß gemacht. Und das Selbstvertrauen gewinne ich durch Übung und gleichzeitig dadurch, dass ich mich immer bemühe, bei mir selbst zu bleiben.

Darf man sich als Leistungssportler überhaupt Selbstzweifel erlauben?

Tja, die kommen ständig. Die Frage ist nur, ob du diese Selbstzweifel immer wieder mit positiven Stimmen übertönen kannst. Ich weiß nicht, wie es anderen Sportlern geht, aber diese Selbstzweifel können auch sehr dunkel und sehr intensiv werden.

Gab es dann auch Phasen, wo Sie an diesen Selbstzweifeln fast gescheitert wären?

Nein, nie, weil ich von Natur aus dann doch positiv und ein Optimist bin. Von daher konnte ich solche schlechten Phasen eigentlich immer gut bekämpfen oder vielleicht auch übertönen. Ich glaube, es ist auch in diesem Business wichtig, dass du immer wieder positiv denkst. Dass man ein schlechtes Spiel schnell verdrängt und sofort ans nächste Ziel denkt. Das, was geschehen ist, liegt in der Vergangenheit. Einige Trainer haben mir gesagt: Hab das Gedächtnis eines Goldfisches. Vergiss das Gestern und konzentriere Dich auf das Neue.

Wie kommt es dann, dass Sie in vergleichsweise frühen Jahren eigentlich das Ende ihrer Profikarriere beschlossen haben?

Der Lebensstil als Berufssportler war mir zu eintönig. Ich liebe Basketball, aber ich liebe nicht den Beruf. Dass du zehn von zwölf Monaten Tag ein, Tag aus in der Halle stehst, das hat mir kein Vergnügen mehr bereitet. Du verpasst Familienfeiern, du verpasst Hochzeiten von Freunden. Und ich habe nun mal auch großen Gefallen an anderen Dingen. Das habe ich jetzt wieder auf meiner langen Reise gemerkt. Nach fünf Jahren reinem Profitum war mir das zu eintönig. Ich möchte noch andere Dinge erleben als nur das Dribbeln eines Balls in der Halle.

Haben Sie dann schon eine Vorstellung, was Sie künftig beruflich machen möchten?

Im Sportbereich zu arbeiten stellt immer eine Option dar. Der Sport bietet einfach so viele gute Emotionen. Ich habe viele Ideen, aber da ist noch nichts Konkretes dabei.

Wenn Sie an Ihre Karriere zurückdenken, sind Sie damit zufrieden? Oder hätten Sie mehr erreichen können?

Ja, das ist eine gute Frage, die ich mir häufig selbst gestellt habe. Manchmal bin ich da schon wehmütig, weil ich denke, mit ein bisschen mehr Glück hätte ich vielleicht ein paar größere Ziele erreichen können. Aber ich hatte mit Verletzungen zu kämpfen, die zu ungünstigen Zeitpunkten kamen und mich auch gehemmt haben. Ich habe dreimal den Aufstieg in die erste Liga unglücklich verpasst. Mit etwas Glück hätte ich also früher in der Bundesliga landen können und dann auch andere Optionen bekommen. Es gab schon Zeiten, da hat mich das wehmütig gemacht und ich habe fast schon mit Reue zurückgeblickt. Heute bin ich aber sehr im Reinen mit mir. Und habe diese Gedanken nicht mehr, dass es hätte besser verlaufen können. Aber die gab es. Klar.

Gibt es einen besonderen Höhepunkt Ihrer Karriere, an den Sie gerne zurückdenken?

Das Spiel in Göttingen mit den Hamburg Towers vergangenes Jahr. Ich habe erst nicht viel gespielt. Hinten heraus hatten aber unsere Guards große Foulprobleme. Das Spiel ging in die erste und die zweite Verlängerung. Und Ende viertes Viertel kam ich rein und musste dann sogar Pointguard spielen. Dass ich dann in diesen zehn Minuten ein BBL-Team anführen durfte und dann mit dem letzten Dreier sogar noch zum Sieg geworfen habe, das war schon speziell für mich.

Was erhoffen Sie sich jetzt von ihrem Kurzzeit-Engagement bei den 46ers? Ist Ihre Leidenschaft fürs Spiel zurückgekehrt?

Ja, mit Leidenschaft bin ich derzeit wirklich sehr dabei. Ich brauche noch ein bisschen Zeit, um wieder besser reinzufinden und eben auch persönlich besser zu spielen. Ich hoffe einfach, der Mannschaft mit Führungsqualitäten, aber auch positiver Stimmung zu helfen.

Wie empfinden Sie die Mannschaft? Da sind ja sehr interessante Spieler und starke Charaktere im Team.

Ich empfinde die Mannschaft als richtig gut. Wir haben enorm viel Qualität und sind jetzt auch in der Tiefe des Kaders gut besetzt. Jetzt ist es wichtig, dass wir uns noch besser kennenlernen, uns auf dem Feld noch besser verstehen. Und uns auch klar machen, dass der Teamerfolg über dem individuellen Erfolg steht.

Daran hapert es noch?

Nein, ich kann natürlich nicht in die Köpfe anderer Menschen hinein schauen, aber daran hapert es eben im Sport häufig bei Mannschaften. Wenn wir es jetzt schaffen, den kollektiven Erfolg allem anderen überzuordnen, dann können wir richtig, richtig gut werden.

Und dann reicht es für den Aufstieg?

Der Aufstieg ist auf jeden Fall möglich. Davon bin ich überzeugt. Sobald man in die Playoffs kommt, ist alles möglich. Das hat man ja vergangene Saison gesehen, als Karlsruhe Meister geworden ist.

Wenn tatsächlich der Aufstieg gelingt und die 46ers ihnen ein Angebot für die kommende Saison in der BBL unterbreiten, würden Sie trotzdem wieder auf Reisen gehen?

Ja. Es würde mir schwer fallen, im August wieder zu spielen. Aber wenn das ein Hammer-Angebot wäre, dann müsste ich natürlich nachdenken (lacht).

Jeder Verein sagt ja, er sei etwas Besonderes. Sind die 46ers und die Gießener Osthalle etwas Besonderes für Sie?

Ja, ich finde das tatsächlich sehr besonders. Ich habe ja schon in vielen Hallen in Deutschland gespielt und auch in der BBL viel erlebt. Aber das war absolut ein Grund, jetzt nochmal hierher zurückzukommen, wissend, dass man dann bei den Heimspielen diese einzigartige Atmosphäre mitbekommt. Ich kriege auch heute noch bei Heimspielen einen Nervenkitzel, vor unseren Fans zu spielen. Es kommen nicht viele Vereine in Deutschland an diese Fankultur hier heran.

Letzte Frage: Sie sind mit einem Buch über die psychologischen Aspekte der Liebe hier ins Cafe gekommen. Was lernen wir daraus?

Gute Frage. Ich habe gelernt, dass die Liebe weniger ein Gefühl ist als vielmehr ein Wille und ein Handeln, aus denen wiederum die Emotionen entstehen können. In unserer heutigen Popkultur bekommen wir zu häufig ein falsches Bild von der Liebe aufgezeigt. Wir verbinden sie immer mit der romantischen Liebe, aber es gibt auch andere Versionen davon und da steckt eben noch viel mehr dahinter an Verhalten und an Handeln.

Also dann doch noch die allerletzte Frage. Kann man folglich sagen, dass der 46ers-Slogan »Unsere Liebe ist rot« tatsächlich eine Liebe ist?

Das ist sogar sehr passend. Wenn man sich überlegt, dass die Fans jeden Samstag auf der Matte stehen und sich die Seele aus dem Leib schreien und sich Gedanken über Gesänge machen, dann ist das für mich mehr als ein Gefühl und mehr als ein Handeln und insofern würde ich, wenn ich das Buch richtig verstehe, sehr wohl davon sprechen, dass diese Liebe tatsächlich rot ist.

Der Beitrag Die Liebe, der Hass und die Osthalle erschien zuerst auf GIESSEN 46ers.

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